Was steckt wirklich hinter einem Seitensprung?
1. Es gibt immer einen Grund
Nach meiner Erfahrung passiert Fremdgehen selten »einfach so«. In vielen Fällen haben sich Probleme schon lange aufgebaut: mangelnde Kommunikation, sexuelle Unzufriedenheit oder das Gefühl, in der Beziehung nicht mehr gesehen zu werden. So kann es kommen, dass einer der beiden plötzlich die Aufmerksamkeit oder Bestätigung anderswo sucht – ob absichtlich oder scheinbar zufällig.
2. Alkohol ist kein Freifahrtschein
Der Satz »Ich war betrunken, das war ein Ausrutscher« hält einer genauen Betrachtung nicht stand. Alkohol mag Hemmungen senken, aber er erschafft keine völlig neuen Bedürfnisse. Wer wirklich in einer erfüllten Beziehung lebt und keinen Wunsch nach einem Seitensprung hat, wird ihn auch unter Alkoholeinfluss kaum begehen.
3. Ursachen liegen oft tiefer
Ein besonderer Fall aus meiner Praxis zeigt, dass der Grund fürs Fremdgehen manchmal in ganz anderen Bereichen liegen kann – zum Beispiel in kulturellen Prägungen oder in der Angst, der Partner könnte einen nur für eine »Hausfrauen-Rolle« wertschätzen. Dann wird der Seitensprung zum Test: »Liebst du mich auch, wenn ich nicht perfekt ins Rollenklischee passe?«
4. Paarexklusivität versus menschliche Natur
Zudem stellen manche Menschen die Monogamie grundsätzlich in Frage: Ist es realistisch, ein Leben lang exklusiv sexuell treu zu sein? Für einige Paare mag ein Seitensprung sogar die Erleichterung bringen, unbewusste Wünsche auszuleben – ohne die Partnerschaft aufgeben zu wollen. Das muss jedes Paar für sich definieren.
Warum ein Seitensprung Gold wert sein kann
1. Klarheit statt Verdrängung
Ein Fremdgehen kann wie ein Brennglas wirken: Plötzlich wird deutlich, was in der Beziehung schon länger ungesagt blieb. Ob es um fehlende Intimität, unbefriedigte sexuelle Wünsche oder mangelnde emotionale Nähe geht – jetzt ist die Zeit, alles offen anzusprechen.
2. Neue Beziehungsdynamik schaffen
Wenn es gelingt, den Schock des Seitensprungs zu verarbeiten, kann das Paar zu einer tieferen Verbindung finden. Man »arbeitet« gemeinsam am Kernproblem, statt an Symptomen herumzudoktern. Wer es schafft, die wahren Ursachen des Betrugs zu verstehen, legt das Fundament für eine stabilere, ehrliche und vielleicht sogar befreitere Beziehung.
3. Selbstverantwortung beider Seiten
Ja, es gibt immer die Person, die aktiv fremdging. Trotzdem liegt die Beziehungsarbeit auf beiden Schultern. Fremdgehen entsteht selten im luftleeren Raum, sondern in einer Dynamik, in der meist beide Beteiligte ihren Anteil haben. Diese Erkenntnis kann – so paradox es klingt – den Selbstwert stärken: »Ich bin nicht nur Opfer, sondern kann aktiv dazu beitragen, Dinge zu ändern.«
4. Verzeihen
Ob es um das Vertrauen nach einem Betrug geht oder um eine veränderte Sexualität: Ein offener Austausch über Wünsche, Ängste und Grenzen ist die Basis. Wenn beide bereit sind, sich verletzlich zu zeigen und einander zu verzeihen, kann das Band sogar fester werden. Viele fühlen sich ihrem Partner / ihrer Partnerin danach näher als jemals zuvor.
Wie Sie mit einem Seitensprung umgehen (könnten)
1. Ursache statt Symptom angehen
Finden Sie heraus, was wirklich hinter dem Fremdgehen steckt. Fühlen Sie sich nicht wahrgenommen oder zurückgewiesen? Gibt es sexuelle Wünsche, die Sie nie offen angesprochen haben?
2. Offen kommunizieren
Ob Sie das Fremdgehen beichten sollten, hängt von Ihren gemeinsamen Absprachen ab. Doch wer sich entscheidet, ehrlich zu sein, muss sich auf zwei Verletzungen einstellen: den eigentlichen Betrug und das Aussprechen desselben. Achten Sie darauf, dass Sie nicht einfach nur Ihr eigenes Gewissen erleichtern.
3. Professionelle Hilfe in Betracht ziehen
Ein Paartherapeut oder Coach kann helfen, die Dynamiken in Ihrer Beziehung zu beleuchten und Wege zu finden, die Probleme konstruktiv anzugehen.
4. Selbstwert aufbauen
Wer betrogen wurde, leidet meist an einem angeschlagenen Selbstwertgefühl. Fragen wie »Bin ich nicht attraktiv genug?« bohren sich tief ins Bewusstsein. Erkennen Sie, dass Sie wertvoll sind – und dass Ihre Bedürfnisse genauso wichtig sind wie die Ihres Partners / Ihrer Partnerin.
5. Neue Regeln definieren
Jede Beziehung darf neu verhandelt werden. Klären Sie, was Treue für Sie bedeutet, in welcher Form Sie sexuelle oder emotionale Grenzen ziehen – und welche Freiheiten Sie einander zugestehen wollen.
Fazit
Ein Seitensprung ist ein emotionaler Schock – aber er muss nicht zwangsläufig das Ende sein. Oft ist er vielmehr ein unübersehbares Zeichen dafür, dass in der Beziehung Wesentliches fehlt: Aufmerksamkeit, Zuneigung, Kommunikation, sexuelle Erfüllung oder das Gefühl, wirklich geliebt zu werden. Wer sich traut, diesen Weckruf ernst zu nehmen, kann nach gründlicher Aufarbeitung zu einer deutlich besseren Partnerschaft finden. Das erfordert Offenheit, Selbstreflexion und den Willen, alte Muster zu durchbrechen. Doch am Ende steht die Chance auf eine tiefere Verbindung – und vielleicht sogar einen Neustart, in dem beide Partner sich freier, wahrhaftiger und stärker denn je lieben können.