Verlustangst als Spiegel fehlender Selbstliebe
Die Idee, dass der andere einen »aufgeben« könnte, basiert meist auf der Überzeugung: „Ich genüge nicht, es gibt bestimmt Besseres da draußen.“ Selbst Menschen, die gelegentlich selbst mit dem Gedanken des Fremdgehens spielen, können starke Verlustängste haben. Letztlich kreist alles um denselben Kern: mangelndes Vertrauen in sich selbst.
Zu diesen Ängsten kommt es besonders oft in Konstellationen, in denen ein Partner bereits Erfahrungen mit Untreue gemacht hat – entweder durch eine vergangene Beziehung oder weil man in der Kindheit gespürt hat, »nicht wichtig genug« für die Eltern zu sein. Auch eine Scheidung der Eltern kann Unsicherheiten schüren und das Bedürfnis nach extremer Sicherheit im späteren Leben wecken.
Kontrollzwang und Eifersucht: Ein Teufelskreis
Ist die Verlustangst erst einmal entfacht, will man Gewissheit über die Treue des Partners. Man checkt das Handy heimlich, stellt bohrende Fragen, verlangt nach permanenten Liebesbekundungen. Doch diese Versuche, sich zu beruhigen, sind selten erfolgreich: Wer das Handy kontrollieren darf, wünscht sich beim nächsten Mal vielleicht ein noch größeres Zeichen der Loyalität.
„Es ist keine Basis für eine funktionierende Beziehung, wenn man seinen Partner kontrolliert und am Handy heimlich Nachrichten liest.“
Zudem verstärkt man durch solche Forderungen das »kranke System«. Der Partner soll ständig beweisen, dass er bleibt und liebt – dabei kann die Sicherheit nur aus einem gesunden Selbstwertgefühl von innen heraus entstehen.
(Kindheits-)Trauma und wiederkehrende Muster
Menschen mit tiefsitzenden Verlustängsten wählen nicht selten genau die Partner, die diese Angst befeuern: Jemanden, der selbst unsicher ist, fremdgeht oder Bindungen leicht aufgibt. Auf diese Weise versuchen sie unbewusst, eine alte Verletzung aus der Vergangenheit »korrigierend« zu erleben – was leider oft scheitert.
Der Kreislauf bleibt bestehen, wenn man nicht erkennt, dass man sich unbewusst immer wieder in gefährdete Beziehungen begibt. Ein wichtiger Schritt ist daher, in sich hineinzuhorchen und zu fragen, warum man ausgerechnet jene Personen anzieht oder anziehend findet, die kaum Verlässlichkeit bieten.
Warum ständige Liebesbeweise nicht helfen
Ich empfehle Partnern von Menschen mit Verlustängsten: „Bitte nicht helfen!“ Damit ist gemeint, dass man das an sich ungesunde Verhalten nicht weiter stärken sollte. Wenn man täglich aufs Neue seinen WhatsApp-Verlauf vorzeigt oder schwört, niemals fremdzugehen, wird der Verlustangst nicht die Grundlage entzogen – sie wird vielmehr dauerhaft gestützt.
Das mag zunächst hart klingen, doch nur wer sich weigert, das Misstrauen ständig zu füttern, gibt dem anderen die Chance, selbst Verantwortung für die eigene Unsicherheit zu übernehmen. Stattdessen ist es sinnvoll, konstruktiv darüber zu sprechen, woher diese Ängste stammen – und im Zweifel auch professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Heilung durch Selbstwertarbeit und Therapie
Ein nachhaltig stabiler Umgang mit Verlustangst erfordert in der Regel mehr als bloße Versicherung von Treue. Wirkliche Besserung tritt meist erst ein, wenn man bereit ist, an der eigenen Selbstliebe und dem inneren Selbstbild zu arbeiten. Das kann heißen:
1. Therapeutische Begleitung
• Einzel- oder Paartherapie, um alte Verletzungen (z. B. aus der Kindheit) aufzuarbeiten.
• Erkennen, welche Denkmuster zur ständigen Unsicherheit führen.
2. Bewusstere Partnerwahl
• Reflektieren, warum man immer wieder in Beziehungen landet, die hohe Unsicherheit und Eifersucht erzeugen.
• Sich Zeit lassen und nicht aus einer Beziehung in die nächste stürzen.
3. Eigene Baustellen priorisieren
• Akzeptieren, dass Verlustangst ein internes Problem ist, das nicht durch äußere Beweise weggezaubert werden kann.
• Sich gezielt Übungen oder Coaching suchen, um das Selbstwertgefühl zu stärken.
Fazit
Verlustängste sind keine Seltenheit – und in einer Gesellschaft, in der viele Menschen an mangelndem Selbstwertgefühl leiden, entstehen leicht Beziehungen mit Kontrollzwang, Eifersucht und Dauermisstrauen. Doch so eine Partnerschaft ist auf Dauer sehr belastend. Wer merkt, dass er (oder sein Partner) unter massiver Verlustangst leidet, sollte das Problem nicht einfach aussitzen. Offenheit, therapeutische Unterstützung und eine klare Absage an Kontrolle als Lösungsversuch sind erste wichtige Schritte. Nur so kann die Liebe von echtem Vertrauen und Gelassenheit getragen werden, statt von ständigem Bangen um den Partner.