Wie man Übergangsbeziehungen erkennt – und was man daraus lernen kann

Eine Trennung tut weh. Umso verlockender scheint da eine neue Liebe, die den Herzschmerz vertreibt und ein Gefühl von Aufwind vermittelt. Doch nicht selten stellt sich heraus, dass man nur von einer Beziehung in die nächste stolpert, ohne das Alte wirklich verarbeitet zu haben. Paartherapeut Oliviero Lombardi weiß: In solchen Konstellationen kann es leicht passieren, dass der oder die Neue nur »Lückenbüßer« für unerfüllte Bedürfnisse ist – oder man selbst zur Übergangslösung wird.

Was Sie in diesem Artikel lernen/erfahren:

Warum die erste Beziehung nach einer Trennung oft zum Scheitern verurteilt ist

Woran man erkennt, ob man in einer Übergangsbeziehung steckt – oder selbst nur »Lückenbüßer« ist

Wie fehlende Aufarbeitung der alten Beziehung eine neue Verbindung unbemerkt belasten kann

Welche Schritte helfen, Altlasten hinter sich zu lassen und wirklich neu anzufangen

Warum Ehrlichkeit und offene Kommunikation die Basis sind, um aus einer wackeligen Zwischenlösung eine stabile Partnerschaft zu formen

Warum die erste Beziehung nach einer Trennung oft scheitert

Häufig endet das erste Liebesabenteuer nach einer gescheiterten Beziehung in Enttäuschung. Das liegt zum einen daran, dass viele ihre Trennung nicht gründlich aufarbeiten – zum anderen, dass ungelöste Probleme aus der alten Partnerschaft einfach in die neue hinüberschwappen. Wer in der vorherigen Beziehung große Frustration erlebt hat, reagiert oft überschwänglich, wenn der neue Partner scheinbar alles »richtig« macht. Die Gefahr: Idealisierung durch die rosarote Brille.

Mangelnde Aufarbeitung

Damit eine neue Beziehung auf gesundem Fundament gedeihen kann, ist es entscheidend, die alte Geschichte wirklich abzuschließen. Dazu gehört auch, den eigenen Anteil am Scheitern zu erkennen. Wer jedoch nur aus Einsamkeit oder aus Frust über den Ex flüchtet, sucht weniger nach einem passenden Partner als nach einer schnellen Rettungsinsel.

»Wenn du dich selbst liebst, ist es egal, wen du heiratest«

Diesen Buchtitel zitiert Lombardi sinnbildlich dafür, wie wichtig eine gefestigte Selbstbeziehung für die Partnerschaftsfähigkeit ist. Einige Menschen geraten in einen Kreislauf des »Rüberwechselns«: Kaum ist eine Beziehung vorbei, stürzen sie sich nahtlos in die nächste. Das Problem: Es bleibt keine Zeit, um die eigenen Bedürfnisse zu reflektieren und sich wieder zu sortieren. Infolgedessen nimmt man die eigenen Baustellen mit – und arbeitet in der neuen Verbindung dieselben Konflikte erneut ab.

Der neue Partner als emotionale Stütze

Manchmal hilft die Aussicht auf eine neue Liebe tatsächlich, sich emotional vom Ex zu lösen. Doch wer nur mit Hilfe des neuen Partners die alte Beziehung beendet, riskiert, dass aus der schnellen Übergangsbeziehung eine wackelige Angelegenheit wird. Wenn man nicht aufpasst, bleibt die neue Partnerschaft für lange Zeit ein Flickwerk, das eher von Fluchtmotiven als von echter Zuneigung getragen wird.

Bin ich nur der Lückenbüßer?

Gerade wenn der geliebte Mensch frisch getrennt ist, stellt sich die Frage: Ist er oder sie überhaupt schon frei für eine neue Partnerschaft? Mehrere Anzeichen deuten darauf hin, dass jemand noch in der Vergangenheit festhängt:

Ständige Vergleiche mit dem Ex: Ob positive oder negative Seiten – wenn der Ex-Partner ständig Thema ist, wird die Beziehung belastet.

Häufiges Sprechen über die alte Liebe: Das kann bedeuten, dass das emotionale Loslassen noch nicht abgeschlossen ist.

Überdurchschnittliches Engagement für den Ex: Man möchte »befreundet« bleiben oder investiert noch sehr viel Energie ins alte Leben.

Wenn der neue Partner nicht (mehr) ganz frei ist, kann das zu Unsicherheiten und Eifersucht führen. Druck hilft hier wenig – besser ist es, einfühlsam darüber zu sprechen. Nur durch Offenheit lässt sich klären, ob beide Seiten bereit sind, an einer wirklichen Zukunft zu arbeiten, statt sich bloß gegenseitig über eine Trennung hinwegzutrösten.

Wie aus einer Übergangsbeziehung doch noch etwas Echtes werden kann

1. Therapie oder Coaching in Erwägung ziehen

Besteht der Verdacht, dass vieles Unverarbeitete in die neue Beziehung »mitgeschleppt« wird, kann eine Paar- oder Einzeltherapie helfen. Dort lässt sich klären, welche Baustellen aus der Vergangenheit noch offen sind – und wie man sie gemeinsam aufarbeitet.

2. Erwartungen kommunizieren

Reden Sie miteinander: Was erhoffen Sie sich von dieser neuen Beziehung? Wollen Sie wirklich eine Zukunft miteinander aufbauen, oder geht es primär darum, Schmerz zu lindern? Ehrliche Worte können Enttäuschungen vorbeugen.

3. Abschied vom Ex akzeptieren

Ein echter Neustart gelingt nur, wenn beide innerlich mit der alten Partnerschaft abgeschlossen haben. Das heißt nicht, alle Erinnerungen zu löschen – aber es braucht eine klare innere Haltung: »Diese Phase meines Lebens ist vorbei. Ich bin bereit, neu anzufangen.«

4. Bereitschaft zur Selbstreflexion

Egal, ob man selbst frisch getrennt ist oder beim anderen ein Lückenbüßer-Verdacht besteht: Wer ernsthaft an der Beziehung arbeiten will, sollte die Bereitschaft mitbringen, in den Spiegel zu schauen. Welche Denk- und Verhaltensmuster sabotieren ein gutes Miteinander?

Fazit

Es ist nicht immer leicht zu erkennen, ob der aktuelle Partner nur eine »Zwischenlösung« ist oder ob sich daraus eine solide Partnerschaft entwickeln kann. Entscheidend ist, ob beide bereit sind, ihre Altlasten zu reflektieren und aufzuarbeiten. Wer sich aus reiner Verzweiflung in die nächste Beziehung stürzt, riskiert, dieselben Konflikte erneut zu durchleben.

Umgekehrt kann eine anfänglich wackelige Verbindung durchaus wachsen, wenn die Beteiligten sie bewusst gestalten. Hier lohnt sich offene Kommunikation über Ängste, Erwartungen und die eigene Vergangenheit. Nur dann ist eine Chance auf echte Tiefe und Beständigkeit gegeben – und der Status »Lückenbüßer« kann sich in eine aufrichtige, stabile Liebe verwandeln.

Für die Stuttgarter Zeitung habe ich zu diesem Thema auch ein Interview gegeben, welches Sie hier lesen können:

Interview mit Oliviero Lombardi vom 28.08.2022, So erkennt man Übergangsbeziehungen

Quelle:

Stuttgarter-Zeitung

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